Schade

Als wir auf einem Kongress zur chinesischen Medizin zur Gestaltung des Rahmenprogramms beitragen und in je einem Tageskurs das Fan Teng Gong und das Nei Jing Gong Interessierten näher bringen durften, kam eines Abends, kurz vor Kursbeginn, eine gut gekleidete Dame auf mich zu:

Ob es sich denn lohne, am Tageskurs des Fan Teng Gong teilzunehmen? – Ja, bestimmt! Ein Tag ist zwar schnell vorbei, aber mit Sicherheit werden wir die Basis auf 40 Minuten aufbauen. – Ach, dann sei es gar nicht möglich, das gesamte Fan Teng Gong hier zu erlernen? – Nein, das geht leider nicht. Man muss die Übungen auf eine Weise erlernen, die auch ein Ergebnis ermöglicht! – Aber sie sei ja bereits Qigonglehrerin, sie habe an einer in Deutschland recht bekannten Einrichtung gelernt und würde das Fan Teng Gong auch gerne mit in ihr Unterrichtsprogramm aufnehmen – Nein, das geht leider trotzdem nicht. Jedes Qigong ist anders, man fängt immer wieder mit dem Anfang an. Man kann es auch nicht gleich unterrichten, wenn man es eben erst selber erlernt hat. Das Fan Teng Gong ist stark, man muss ein noch stärkeres Qi haben, wenn man es unterrichten will. – Hm, das könne sie sich gar nicht vorstellen, sie habe bereits viel Erfahrung mit Qigong. Sie wüsste schon, was sie da mache. – Hm, vielleicht könnte sie es ja mal heute Abend ausprobieren und hier bleiben. Dann würde sie ja sehen, wie es sich anfühlt und dann können wir weiter reden. – O.k., der Vorschlag wurde angenommen.

Also zeigte ich ihr den Einstieg in die Basis, in der sie fünf Minuten verweilen sollte. Dann würde ich wieder kommen und mit ihr zusammen den Abschluss praktizieren. In der Zwischenzeit kümmerte ich mich um andere Teilnehmer – obwohl es fast der letzte Tag war, kamen immer wieder Neue dazu, andere mussten korrigiert werden. Aus den Augenwinkeln fiel mir auf, dass sie bereits nach knapp drei Minuten heftig zu zittern begonnen hatte. Sehr heftig. Das kann passieren, ist aber selten. Man kann es sehr leicht zum Stoppen bringen, es ist kein Grund zur Beunruhigung. Wer Qigong kennt, sollte zumindest dessen häufigste Reaktionen kennen. Als ich mich jedoch nach etwa vier Minuten wieder zu ihr umdrehte, war sie – verschwunden.

Hatte sie aus ihrer Ausbildung den Eindruck mitgenommen, Qigong bestünde aus bestimmten Techniken, deren Beherrschung ausreichend sei, um auch das Qigong zu beherrschen? Ist es ein Phänomen unserer Zeit, in der sich umfangreiche handwerkliche oder künstlerische Ausbildungen eher am Rand der Gesellschaft befinden? – Wir treffen nicht selten auf die irrige Auffassung, ein beliebiges Qigong könne recht einfach in ein bestehendes Repertoire verschiedenster anderer Qualifikationen mit aufgenommen werden.

Das Zittern kann entstehen, wenn die Übenden verspannt sind. Wenn die Muskeln sich entspannen, verschwindet es wieder. Meistens kann man es sehr leicht auflösen, ein kleines bisschen Qi genügt.

Oft nehmen gerade Personen, die schon Qigong gelernt haben, dieses zu leicht.