Da lachte der alte Indianer

Eine Schülerin der Dao Yuan Schule hatte früher einmal an einer Studienreise nach Südamerika teilgenommen. Es ging darum, dortige schamanische Traditionen kennen zu lernen. Besonders beeindruckt hat sie der Unterschied der Praktiken in zwei verschiedenen Dörfern, das eine am Meer gelegen, das andere in den Bergen.

Im Dorf am Meer praktizierte man das, was man im Allgemeinen unter Schamanismus versteht: Arbeit mit Hilfe von Geistern. Der Schamane versetzt sich in Trance, um mit diesen zu kommunizieren und z.B. Krankheiten entsprechend deren Anleitung zu behandeln.

Im Dorf in den Bergen war es anders. Dort rief man keine Geister zu Hilfe. Stattdessen wurden Behandlungen mithilfe der Vorstellungskraft durchgeführt: der Behandler stellte sich vor, die Krankheit aus dem Körper des Erkrankten in seinen eigenen Körper hinein zu ziehen und sie dann über die Füße in die Erde auszuleiten.

Auch die zweite Methode wird im Westen nicht selten unter den Oberbegriff ‚Schamanismus‘ subsumiert. Der wissenschaftliche Ansatz mit seiner Betonung der intellektuellen Erkenntnis tappt im unsichtbaren Bereich im Dunkeln. Kennt man das Qigong, versteht man jedoch schnell, dass im Dorf in den Bergen energetische Arbeit in einer sehr ursprünglichen Form eingesetzt wurde.

Eine kleine Anekdote mag dies verdeutlichen:
Eine Versammlung südamerikanischer Medizinmänner. Auch einige europäische Gäste sind dabei. Einer von ihnen praktiziert in einer Pause Taiji Quan. Der Medizinmann aus dem Dorf in den Bergen bricht in schallendes Gelächter aus. Die europäischen Gäste sind etwas irritiert. Als man ihn nach dem Grund fragt, antwortet er:

„Das ist zu komisch! Wieso macht er so viele unnötige Bewegungen, um so ein bisschen Energie zu entwickeln?“
Er wusste mit der Energie der Natur, dem Qi der Natur zu arbeiten. Er kannte das Qigong nicht und wusste nicht, dass Taiji Quan kein Qigong ist.

Diese ursprünglichen Formen der Arbeit mit der Energie-Materie Qi haben jedoch gewisse Nachteile: ist das eigene Qi nicht stark genug, oder ist die eingesetzte Vorstellung fehlerhaft, so hat man das Risiko, sich bei derartigen Behandlungen selber anzustecken.

Möglich, dass aufgrund solcher Erfahrungen das Qigong im Laufe der chinesischen Geschichte dann weiter entwickelt wurde.

Das traditionelle chinesische Qigong stößt – ebenso wie der Buddhismus, der Daoismus und alle großen Religionen – vom Schamanismus (der Arbeit mit Geistern) ab. Es hat sie in der chinesischen Geschichte gleichzeitig gegeben, es gibt sie auch heute noch gleichzeitig. Es sind verschiedene Herangehensweisen, deren eine nicht zwangsläufig aus der anderen folgt.

Im Qigong, im Fan Teng Gong, Nei Jing Gong usw. arbeiten wir an uns selber; Qigong ist emanzipativ.