Edith Guba, Von Christel Proksch zu Guo Bingsen

Erlernt habe ich das Fan Teng Gong bei Christel Proksch. Sie war die erste, die dieses Qigong in Deutschland unterrichtet hat, so wie sie auch eine der ersten war, die das Taiji Quan hier bekannt gemacht haben: eine freundliche, gebildete ältere Dame, die es mit etwa 50 Jahren erst nach Taiwan, dann nach China zog, um dort diese beiden Künste zu finden. Das Fan Teng Gong hatte sie bei Lu Xuezhi aus Qinghuangdao erlernt, ebenso wie Guo Bingsen.

Davon wusste ich in den späten 80-er Jahren, also etwa zur gleichen Zeit, noch überhaupt nichts. Jedoch interessierte ich mich für Shiatsu, das damals einen ersten Boom erlebte. In diesen Kursen wurden zur Vorbereitung und inneren Sammlung manchmal auch Qigongübungen in Bewegung praktiziert. Diese faszinierten mich, irgendwie mehr als das Shiatsu. In Büchern las ich von wundersamen Fähigkeiten, die bei Qigongmeistern erforscht wurden. Hinter diesen Informationen schien sich ein weites, unbekanntes Feld zu verbergen; sie wirkten auf mich wie Erinnerungen an meine Kindheit, irgend etwas Vergangenes, vielleicht Verlorenes; irgend etwas Neues, das mir wie ein Altes, Bekanntes erschien. Also wechselte ich vom Shiatsu zum Qigong, auch mit dem deutlichen Gedanken, dass ich besser erst etwas für mich selber tun sollte, bevor ich anderen etwas geben kann.

Also besuchte ich die verschiedensten Qigongkurse, die damals noch schwer zu finden waren, aber es gab sie; absolvierte eine Ausbildung; begann im kleinen Kreis und auch an der Volkshochschule zu unterrichten – und suchte weiter. Es gab so vieles: Feldenkrais, Alexander-Technik, Middendorf usw. – alles irgendwie interessant. Man könnte sich diese Interessen zum Beruf machen, dachte ich und plante die Organisation von Kursen. Kurse, an denen ich auch selber teilnehmen könnte. Das war so meine Idee. Bald erkannte ich, dass man nicht gleichzeitig auf verschiedenen Hochzeiten tanzen kann und kam zu dem Schluß, dass es sicherlich das Qigong ist, welches mich am meisten interessiert. Ich lernte eine Übungsfolge in Bewegung nach der anderen und praktizierte regelmäßig, auch Sitzmeditationen. Die Übungen in Bewegung hatten jedoch ihre Grenzen. Das Qigong schien mir irgendwie mehr zu beinhalten, mehr Tiefe zu haben. – Aber wo sie finden? In China? – Aber China war damals sehr weit weg. Und wie sollte ich mich dort mit den Leuten verständigen?

Es waren Kurse mit Christel Proksch, die ich als erstes organisierte. Fan Teng Gong. Sehr starke Übungen im Stehen – stärker als die in Bewegung, die ich bisher kennen gelernt hatte. Christel Proksch unterrichtete sie verbunden mit leicht kreisenden Körperbewegungen. Mich störte das nicht, hatte ich schließlich vorher auch mal in den Bauchtanz hinein geschnuppert. Als ich – mit ihrer Erlaubnis – Teile aus dem Fan Teng Gong in meinen Volkshochschulkurs einbinden wollte, waren die Reaktionen der Teilnehmer recht unterschiedlich: die meisten mochten dieses Gekreise nicht; einige jedoch waren, wie ich selber, von der starken Energie dieser Übungen sehr angetan.

Christel Proksch hatte, unterstützt von einer jüngeren Chinesin, ein Skript zum Fan Teng Gong für ihre Schüler ins Deutsche übersetzt. Darin stand, man solle die Übungen zuerst einzeln, dann hintereinander üben. Ich übte sie hintereinander, es dauerte fast drei Stunden. Das war dann doch etwas viel.

Mit einigen Teilnehmern meines Volkshochschulkurses begann ich einen kleinen Fan Teng Gong Kurs. Ich selber übte auch immer mit. Einmal wurde mir dabei schwarz vor den Augen, ich wurde fast ohnmächtig. Keiner der Teilnehmer schien sich etwas dabei zu denken, sie nahmen es wie selbstverständlich, dass so etwas passieren kann. Ich erzählte es Christel Proksch, sie hatte keine Antwort. Einmal erklärte ich eine Übung und hatte dabei das Gefühl, meine Arme seien verschwunden. Als ich hinschaute, waren sie aber noch da. Eigenartig. Aber so war es halt, eine Erklärung hatte ich nicht; Christel Proksch zu fragen, kam mir nicht in den Sinn.

Ich organisierte weitere Kurse, diesmal mit Prof. Ding Hongyu, der vorher an der Universität in Oldenburg unterrichtet hatte. Eine Teilnehmerin meines Kurses besuchte auch einen Taijikurs bei Christel Proksch. Von dort brachte sie einen Flyer mit: Kurse mit einem Chinesen. Auch das Fan Teng Gong stand im Programm. Die Kursteilnehmerin äußerte sich etwas besorgt in Bezug auf meine bestehenden und geplanten Aktivitäten: sollte das nicht vielleicht eine Konkurrenz hierzu sein? Oder sollte man hingehen? – Schließlich siegte bei mir eine Art Verantwortungsgefühl gegenüber meinen Schülern: wo ich es doch auch unterrichte, sollte ich immerhin mal sehen, wie es ist, wenn ein richtiger Chinese den Kurs leitet!

Der Chinese, der seine Kurse in den Räumen von Christel Proksch durchführen sollte, war auch bei dieser untergebracht. Ich suchte noch nach einer Unterkunft für Ding Hongyu. Sollte sie vielleicht noch ein Zimmer in ihrem geräumigen Haus frei haben? Großzügig und entgegenkommend, wie sie war, sagte sie zu.

Damals versuchte ich, mir etwas aufzubauen, in einem Bereich, der mich sehr interessierte. Gleichzeitig entwickelte ich verschiedene, ziemlich heftige Krankheitssymptome, die mich stark beeinträchtigten und auch in einen inneren Zwiespalt brachten: wie kann ich Qigong – dem man doch eine positive Wirkung auf die Gesundheit nachsagt – unterrichten und gleichzeitig selber immer kränker werden? Hilft es vielleicht doch nicht bei Krankheiten? Meine Ärztin gab mir Medikamente, die das Schlimmste unterdrückten. Aber Gesundheit ist etwas anderes.

In dieser Situation kam ich dann also in den Kurs von Guo Bingsen, so hieß der Chinese. Er strahlte mich an und ich fühlte mich zu Hause. Das Fan Teng Gong unterrichtete er ohne dieses Körperkreisen: man praktiziere es in einem ruhigen Stand. Manchmal könne das Qi verschiedene Bewegungen hervorrufen, die seien dann aber individuell. Man solle sie nicht bei anderen abschauen, nicht ‚machen‘. Auch übe man die Zusammenfassung der Übungen auf eine verkürzte Weise, insgesamt dauere das dann ca. 40 – 60 Minuten, keine drei Stunden. – Aha.

Bald kam dann auch Prof. Ding Honyu nach Bremen. Da ich mich ja auch etwas um ihn kümmern musste, Lebensmittel einkaufen usw., traf ich im Haus von Christel Proksch auch immer wieder auf Guo Bingsen. Es ergaben sich Gespräche, die mir meine früheren Fragen erklärten: der Schwindel beim Üben sei eine Reaktion gewesen. Das Qi habe eine Blockade bearbeitet. Die aufgelösten Arme – man könne beim Üben sogar das Gefühle bekommen, der ganze Körper sei verschwunden! – wiesen darauf hin, dass sehr viel Qi in ihnen wirksam gewesen sein. – Aha.

Dieser Chinese begann mich zu interessieren. Seine Übungen waren auch sehr unglaublich. Im Garten von Christel Proksch wurden wir in die Aufnahme der Energie von Sonne und Mond eingewiesen. Wie von ihm vorhergesagt, legte sich eine Scheibe vor die Sonne, sie erschien in den verschiedensten Farben, auch der Himmel außenrum. Unglaublich schöne Farben: rot, rosa, gelb, blau, grün, auch schwarz. Alles in den wunderschönsten Farbtönen. – Das war es! Das kannte ich! Als Kind hatte ich das auch gemacht – bis man mir sagte, man solle nicht mit bloßen Augen in die Sonne schauen.

Später trennte er sich von seinen damaligen Organisatoren und fragte mich, ob ich mit ihm kooperieren wolle. Es schien mir nicht einfach, aber ich wollte es versuchen. Es war das Ende meiner Suche nach einem Meister, der Anfang der Dao Yuan Schule für Qigong.

Ach ja, und heute, viele Jahre später, fühle ich mich stabiler, gesünder als damals.

Und auch auf das Fan Teng Gong komme ich immer wieder gerne zurück.

 Allerdings rate ich niemandem, einen Eigenversuch zur Aufnahme der Sonnenenergie zu starten. Kinder unter fünf Jahren können diese Fähigkeit spontan entwickeln, Erwachsenen ist es verwehrt. Allerdings gibt es einige wenige Erwachsene, welche sich dieses Wunder hinüber gerettet haben. So meinte z.B. die Mutter einer unserer Schülerinnen eines Tages, als sie da in ihrem Sessel im Garten saß:

Komisch, die Sonne ist heute so komisch. Sonst ist da immer eine Scheibe davor, wenn man rein schaut, alles in den schönsten Farben. Und heute ist da gar nichts, die Sonne blendet mich, komisch.

Und ihre Tochter wunderte sich. Sie selber hatte an einem Kurs teilgenommen, um diese Fähigkeit zu aktivieren. Das z.B. ist damit gemeint, wenn es heißt, das Qigong könne die latenten menschlichen Fähigkeiten wieder entwickeln.

Alle von Guo Bingsen in den Westen gebrachten Übungen und Übungssysteme finden Sie auf den Seiten der Dao Yuan Schule für Qigong.