You Wei und Wu Wei im Taiji Quan

Zwei zentrale Begriffe des Dao De Jing : You Wei und Wu Wei

« You wei » ist « tun », « wu wei » ist « nicht-tun ».

Wenn ein Lehrer etwas lehrt, dann befinden wir uns im Bereich des you wei : wir machen was. Der Lehrer zeigt und erklärt die Übung, der Schüler versucht, zu verstehen und nachzumachen.

Die besten Ergebnisse des you wei entspringen auch im Taiji Quan aus dem wu wei.

Im Folgenden ein Beispiel, das ich selber erlebt habe und das die Sache sehr anschaulich macht :

In manchen Phasen habe ich mit Meister Guo Bingsen fast täglich zusammen Taiji Quan praktiziert. Er hat mir nichts erklärt, ich habe einfach mitgemacht. Erklärt hat er dann sehr viel später, hauptsächlich in den Kursen. In diesen habe ich ja regelmäßig für ihn übersetzt.

Das Ereignis, von dem ich nun berichten will, hatte mit seinen (guten und anwendungsbezogenen!) Erklärungen aber überhaupt nichts zu tun :

Ich war beim Aufräumen der Kursräume in Bremen. Zwei gegenüberliegende, über den Eingangsflur verbundene Räume sind von der Straße her zugänglich. Ich befand mich gerade im Flur zwischen den beiden Räumen, beide Türen standen leicht offen. Plötzlich tauchte ein offensichtlich irgendwie auf Krawall gebürsteter Halbwüchsiger unerwartet vor mir auf und reckte seinen Hals neugierig und in schnellem Wechsel in Richtung der beiden halboffenen Türen. Es gelang mir, eine davon schnell mit dem Schlüssel zu verschließen. Diese Gelegenheit wollte er nutzen und versuchte, die andere Tür mit einem Fußtritt zu öffnen. Doch ich war schneller : mich umdrehen und das in Richtung Tür tretende Bein von unten her auszuhebeln – es geschah für mich völlig unerwartet und offensichtlich auch ziemlich schnell. Noch unerwarteter war die Reaktion des Halbwüchsigen : er riß die Augen auf, strauchelte, fiel aber nicht. In der Folge wich er zurück und verabschiedete sich mit abwiegelnden Gesten und einer etwas irritierten Freundlichkeit.

Das war ein Ereignis aus dem wu wei. Jahrelang und selbstvergessen übt man diese schönen, langsamen Bewegungen (you wei) – und auf einmal und überraschend auch für einen selber wenden sich ihre Prinzipien von alleine an : wu wei.

Und ein kleiner you wei Kommentar:

Das Taiji Quan der Dao Yuan Schule kann eine prima Ergänzung zum Fan Teng Gong und auch zum Nei Jing Gong sein: für das Wohlgefühl in der Bewegung, aber eben möglicherweise auch unerwartet dann, wenn man es doch einmal als Kampfkunst braucht.

Überdies sind Fan Teng Gong und Nei Jing Gong eine ideale Übungsbasis für Taiji Quan: übt man bereits Qigong, so nimmt man das Qi, seine Bewegungen, seinen Fluss im Körper schon beim ersten Üben des Taiji Quan wahr. Ohne Qigong kann es Jahre dauern, bis man im Taiji Quan etwas vom Qi spürt. Bei Meister Guo waren es 10 Jahre. Damals wusste er noch nichts vom Nei Jing Gong. Aber anders als seine Mitschüler, Mitübenden, hatte er nach etwa 10 Jahren die Wahrnehmung, beim Üben des Taiji Quan kühles Qi aus dem Kosmos aufzunehmen. Es strömte über den Baihui in ihn ein, aber nur bis in den Brustraum. – Kein Vergleich mit den Wahrnehmungen, die sich bei den meisten Übenden des Fan Teng Gong oder des Nei Jing Gong bereits in den ersten Jahren entwickeln.