Selbsterkenntnis und dicke Hunde

Im 54. Kapitel des Dao De Jing heißt es:

menschen betrachtet man nach sich selber,

familien betrachtet man nach seiner familie,

gemeinschaften betrachtet man

nach seiner gemeinschaft,

länder betrachtet man nach seinem land.

die welt betrachtet man nach der jetzigen welt.

wie kann ich wissen,

wie es um die welt bestellt ist?

Daher.

Vorhin habe ich in mehreren Online-Veröffentlichungen Artikel zum Thema « Fettleibigkeit bei Mensch und Tier » gefunden. Hier ein Auszug aus dem Spiegel:

… Nun hoffen die Wissenschaftler, dass die Erforschung übergewichtiger Hunde künftig auch Rückschlüsse auf den Menschen zulassen. Bisher werden vor allem Ratten als Versuchstiere eingesetzt. Hunde sind laut den Verhaltensforschern aber besser geeignet, weil sie in engerer Gemeinschaft mit dem Menschen lebten und dadurch ähnlichen Umweltfaktoren ausgesetzt seien.

Laut einer Studie der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) haben mehr als die Hälfte der Hunde und Katzen in Deutschland zu viel Speck auf den Rippen. Mit fatalen Folgen: Die überflüssigen Pfunde können ihre Lebenserwartung um bis zu zwei Jahre drücken. Außerdem steigt wie beim Menschen das Risiko für Diabetes, Arthritis und Herzerkrankungen. …

Lao Zi, der Verfasser des Dao De Jing, ist der Auffassung, man erkenne andere und deren Bezugsgruppen durch Selbsterkenntnis und durch Erkenntnis der eigenen Bezugsgruppen. Dies verlangt Reflexion und Introspektion.

In der modernen Wissenschaft, die im Westen doch einen so hohen Stellenwert hat bzw. beansprucht, werden hingegen laut dem obigen Artikel zumindest in diesem Fall Erkenntnisse über Menschen aus Erkenntnissen an Ratten und Hunden extrapoliert. In möglicherweise methodisch hinterfragbaren Versuchsaufbauten machte man diese dicken Hunde zu Objekten, die gewisse Ergebnisse lieferten, welche nun eventuell Rückschlüsse auf Verhaltensweisen beim Menschen ermöglichen sollen. Immerhin fanden diese Forschungen Eingang in mehrere Onlinejournale.

Sollte man das nun Mainstream oder geistige Armut nennen oder habe ich nicht genau gelesen, nicht richtig verstanden?

Man könnte auf die Erläuterungen von Guo Bingsen zum 71. Kapitel des Dao De Jing zurückgreifen; auch hier handelt es sich um Selbsterkenntnis:

71 · Zum Verständnis

Es ist wichtig, zu einer klaren Einschätzung seiner selbst zu gelangen. Selbsterkenntnis ist das gemeinsame Thema fast aller Philosophen des antiken China.

Wer das Dao gut erfasst und leichtsinnige Behauptungen vermeidet, wahrt die Bescheidenheit.

Manche halten sich für unfehlbar. Es sind Wichtigtuer.

Ihnen fehlt es an Selbsterkenntnis. Sie wissen nicht viel, treten aber so auf, als wüssten sie alles. Das ist ein Fehler.

Weise geben zu, dass sie Fehler und Unzulänglichkeiten haben.

Sie versuchen, diese zu korrigieren.

So können sie dem Dao folgen.

Und das Beste an der chinesischen Philosophie ist, dass sie nicht nur Theorien liefert, sondern auch Methoden, mit deren Hilfe man sich in eigener regelmäßiger Praxis diese Theorien erhellen kann.

Fan Teng Gong und auch Nei Jing Gong sind zwei derartige Methoden.

Nicht zuletzt können sie uns dabei unterstützen, Selbstreflexion und Selbsterkenntnis zu üben.

Auch können sie das entwickeln, was man im Qigong „latentes menschliches Potential“ nennt. Hierbei handelt es sich um Fähigkeiten, die uns eigentlich in die Wiege gelegt wurden, die jedoch brach liegen und verkümmern. Eine dieser Fähigkeiten ist es, eine Ebene zu finden, auf der wir als Menschen mit Tieren kommunizieren können. Dann können wir verstehen, warum die armen dicken Hunde so viel fressen, und nicht nur das. – Jedes Kind weiß es, aber solange die Wissenschaft sich nicht einen Rahmen schafft, in dem sie es eventuell nachweisen könnte, bleibt es unwissenschaftlich.

Das klassische chinesische Qigong, die alte chinesische Philosophie, geht davon aus, dass es derartige Fähigkeiten gibt und stellt Methoden bereit, mit denen sie erhalten und weiterentwickelt werden können. Sie zu erkennen, ist Teil der Erkenntnis unseres menschlichen Selbst, unserer Selbsterkenntnis.

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Anm.: die Neuübersetzung des Dao De Jing von Lao Zi durch Guo Bingsen und Edith Guba mit den Kommentaren von Guo Bingsen ist 2017 im daoyuan verlag erschienen. Guo Bingsen und Edith Guba haben versucht, den einfachen, zeitlosen und unmittelbar den Leser ansprechenden Stil des Originals in ihrer Übersetzung zu erhalten. So mag die unerwartet hohe Aktualität dieses vor über 2000 Jahren verfassten Werkes den Leser überraschen und die Tiefe seines Gehaltes sich im Einfachen zeigen.

Für Interessierte:

Edith Guba hält in Abständen an verschiedenen Orten Vorträge zu verschiedenen Aspekten des Dao De Jing.

Das Buch ist hier erhältlich: shop@daoyuanzhai.eu und hier:  https://www.qigong-daoyuan.net/ddj1.html finden Sie die (allerdings nicht mehr korrigierten) Vorabdrucke einiger Kapitel.