Qigong, Nei Gong

In letzter Zeit drängt ein Begriff in die westliche Öffentlichkeit, der sich um Abgrenzung zum ‚Qigong‘ bemüht, der des ‚Nei Gong‘.

Im ‚Qigong‘ gehe es ’nur‘ um das Qi, im ‚Nei Gong‘ gehe es hingegen um Jing (Essenz), Qi (Energie-Materie) und Shen (Geist) gleichermaßen, so eine der Argumentationen, schlussendlich um das Erreichen des Dao.

‚Nei Gong‘, die ‚innere Arbeit‘ sei höherwertiger als ‚Qigong‘, so ein eine andere, ähnliche Argumentation; alle Formen des ‚Qigong‘ entsprängen dem ‚Nei Gong‘.

Der Begriff ‚Nei Gong‘ wurde ursprünglich in den Kampfkünsten verwendet. Diese zählt man in China zum ‚Wai Gong‘, der äußeren Arbeit. Ohne ‚Nei Gong‘ bleibt ‚Wai Gong‘ reine Muskel- und Knochenarbeit; ohne ‚Nei Gong‘ kann man im Kungfu kein hohes Niveau erreichen. Darum dessen Wertschätzung im Zusammenhang mit dem Kungfu.

Nicht alle Kungfumeister unterrichten jedoch die gleiche Form des ‚Nei Gong‘, auch dort gibt es sehr viele Formen, die je verschiedene Fähigkeiten im Kungfu entwickeln. Nicht jeder Mönch des Shaolinklosters bekommt die Nei Gong – Übungen, welche die Fähigkeit entwickeln, sich mit der Kehlgrube auf einem Speer abzustützen. Noch weniger Mönche des Shaolintempels bekommen die Nei Gong – Übung, welche die Fähigkeit entwickelt, eine Nadel durch eine Glasscheibe zu werfen, so dass ein auf der anderen Seite dieser Glasscheibe befestigter Luftballon zerplatzt, wenn er von ihr getroffen wird. (Wohlgemerkt: die Nadel wird durch die Glasscheibe hindurch geworfen, da ist kein Loch in der Scheibe. Es handelt sich nicht um einen Trick, es handelt sich um eine Möglichkeit, auf entwickelter Ebene mit Qi zu arbeiten.)

Die inneren Übungen, welche besondere Fähigkeiten im Kungfu entwickeln, nennt man alle ‚Nei Gong‘. Es sind immer andere Übungen. Dennoch werden sie i.d.R. alle mit dem Gattungsbegriff benannt: entweder der Meister kennt den individuellen Namen einer Übung nicht, oder er will ihr Ziel nicht im Namen ausdrücken, z.B. um Eifersucht und Neid unter seinen Schülern zu vermeiden.

Ein anderer Oberbegriff des in den Kampfkünsten verwendeten Nei Gong ist ‚hartes Qigong‘.

Dieses steht im Gegensatz zum ‚weichen Qigong‘, welches der Kräftigung der Gesundheit, der Lebensverlängerung und der Entwicklung von besonderen Fähigkeiten im nicht-kämpferischen Bereich dient.

Im Buddhismus hat seine Praxis das Ziel des Eingangs ins Nirwana, im Daoismus ist das Ziel das Erreichen des Dao.

Das sind beides sehr hohe Ziele, die selten erreicht werden.

In seinen Anfängerstufen konzentriert sich jedes weiche Qigong zunächst auf die Herstellung und den Erhalt einer stabilen geistig-seelisch-körperlichen Gesundheit. Nur diese Anfängerstufen wurden in China zur Zeit des ‚Qigong-Booms‘ in der Öffentlichkeit unterrichtet. Darum ist immer die Rede von ‚Gesundheit‘ im Zusammenhang mit dem Qigong. Methoden zu kennen, die sie herstellen oder erhalten können, ist bereits an sich selber eine wertvolle Sache.

Nur auf dieser Basis können im Qigong weiter führende Ergebnisse der höheren Stufen stabil sein; auf dieser Basis hat man etwas Hoffnung, lange genug zu leben, um einige der sehr hohen Stufen zu erreichen. – Dies mag zwar theoretisch allen Menschen möglich sein, doch sind es selbst in China nur wenige, denen es gelingt.

In den höheren Stufen des Qigong daoistischer Herkunft geht es regelmäßig darum, ‚Shen‘, den Geist zu entwickeln. Die Konzeption der Bedeutung des ‚Geistes‘ ist in der chinesischen Philosophie sehr anders als im Westen.

– Ob es nun ‚Nei Gong‘ genannt wird oder ‚Qigong‘: die Unterschiede liegen in den Übungen, nicht im Namen.

Wenn ich die Fähigkeit entwickelt habe, eine Nadel durch Glasscheiben zu werfen, habe ich noch nicht unbedingt Langlebigkeit erreicht. Usw.

Jedes traditionelle Qigong das sich auf ‚Jing – Qi – Shen‘ bezieht und dadurch zu erkennen gibt, dass es daoistischer Herkunft ist, bezieht sich (im Unterschied zur chinesischen Medizin) gleichermaßen auf ‚Xu‘ – das Leere: ‚Jing – Qi – Shen – Xu‘. Xu korrespondiert dem Dao.

Vielleicht rührt der Nachdruck, mit dem das ‚Nei Gong‘ manchmal als etwas Höheres als das ‚Qigong‘ dargestellt wird, daher, dass der letztere Begriff durch sehr viele Neuentwicklungen im Qigong zur Zeit seines Booms in China etwas verwässert wurde, weitere Neuentwicklungen durch westliche Schüler haben sich angeschlossen.

Wie in einem früheren Beitrag bereits angemerkt, nennen in China einige Meister ihr Qigong auch manchmal ‚Yangsheng Gong‘, selbst wenn es sich um hochentwickelte Übungen handelt. Vielleicht, um die Vermessenheit zu vermeiden, die in China teilweise im Zusammenhang mit dem Begriff ‚Qigong‘ einherging. (Zur Erinnerung: unter ‚Yangsheng Gong‘ versteht man in China Übungen in Bewegung mit dem Ziel der Lebens- und Gesundheitspflege.)

Vermessenheit kann man bei keinem Begriff ausschließen, der Hohes impliziert.

Vielleicht sollten wir unser Qigong auch ‚Yangsheng Gong‘ nennen: Fan Teng Gong, Nei Jing Gong, die Übungen zur Aufnahme der Energie von Sonne und Mond usw: fast alle an der Dao Yuan Schule gelehrten Übungen sind innere Übungen und gehören zum ‚Nei Gong‘. Doch alle dienen auch der Pflege des Lebens: Yangsheng.

Hier haben wir versucht, die Begriffe – aus ihrem chinesischen Kontext heraus und nach unserer Kenntnis – etwas zu erläutern.

Kurz zusammengefasst: wichtiger als ihre Namen, sind die tatsächlich erreichbaren Ergebnisse von Übungen, sowie ein Unterricht, der den Lernenden diese ermöglicht.